Lisettes Kindergarten – schöner Traum oder machbare Wirklichkeit?

Veröffentlicht am 29.11.2010 in Kommunale Werkstätten

(v.l.n.r.): Dr. Rainer Prewo MdL, Ingrid Miklitz, Saskia Esken, Lisette Siek-Wattel und Sigrid Klausmann-Sittler
  • Der Landtagsabgeordnete Dr. Rainer Prewo und die Vorsitzende der Kreis-SPD Saskia Esken haben ErzieherInnen und Eltern zu einer Filmvorführung ins Kino eingeladen und dabei viel Neues über den Alltag und die Lage in der frühkindlichen Bildung und Betreuung erfahren

CALW. Eine qualitativ hochwertige und bedarfsorientierte Kinderbetreuung mit mehr Ganztagsangeboten ist ein Kernpunkt im Forderungskatalog der SPD. Doch wie soll sie konkret aussehen, diese „qualitativ hochwertige Betreuung“, kurz, was brauchen unsere Kinder? Saskia Esken, Kommunalpolitikerin mit den Schwerpunkten Bildung und Soziales und der SPD-Landtagsabgeordnete Rainer Prewo haben nachgefragt und zwar bei denen, die es am besten wissen: Erzieher, Lehrkräfte und Eltern.

Grundlage für die Podiumsdiskussion war der Dokumentarfilm „Lisette und ihre Kinder“ von Sigrid Klausmann-Sittler. Der Film begleitet die Erzieherin Lisette Siek-Wattel bei ihrer Arbeit im „Kleinen Kindergarten“ in Stuttgart-Vaihingen. Insgesamt 33 Jahren prägte die aus den Niederlanden stam-mende Erzieherin den Kindergarten, der 1975 aus einer Elterninitiative heraus gegründet worden war. Die Kinder von Regisseurin Klausmann-Sittler und Walter Sittler gingen alle drei zu Lisette in den Kindergarten. Die Idee zum Film entstand, als das letzte Berufsjahr der Erzieherin nahte. Bewegend und dennoch ganz unsentimental dokumentiert der Film die Arbeit der Erzieherin während ihres letzten Arbeitsjahres und ist damit zugleich eine Verbeugung vor der Ausnahmepädagogin. Überraschend sorgte der Film, der ursprünglich nur in einem Stuttgarter Kino laufen sollte, für Aufsehen und wird seither deutschlandweit gezeigt. Bei der Aufführung im Calwer Kino waren die Hauptdarstellerin Lisette und Regisseurin Klausmann mit von der Partie. In der Diskussion um das Thema frühkindliche Bildung und Betreuung plädieren sie für eine Erziehung, die die Kinder vor dem Druck einer Gesellschaft schützt, die nur auf Leistung aus ist. Damit beziehen sie klare Gegenposition zum derzeitigen Trend: Es wird gefördert, gefordert und dokumentiert, doch Grundlegendes komme meist zu kurz, meint Lisette: dem Kind zu helfen, ein gesundes Selbstvertrauen aufzubauen und zu zeigen, dass es in der Welt willkommen ist. Die Eltern ziehen bei der immer früher ansetzenden Vermittlung von speziellen Lerninhalten mit, aus der Angst heraus, ihr Kind nicht ausreichend für den späteren Lebensweg zu fördern und vorzubereiten. „Niemand weiß, wie die Welt in 20 Jahren aussieht“, sagt Lisette, „deshalb brauchen die Kinder Kreativität, um Dinge lösen zu können, von denen wir heute noch gar nichts wissen“. Damit Kinder – und auch das zeigt der Film – innere Sicherheit entwickeln können, brauchen sie den neugierig liebevollen Blick, der die Ressourcen jedes Kindes entdeckt. Das Ideal der zugewandten Aufmerksamkeit scheitert im Alltag noch immer häufig: die Gruppen sind zu groß, zu knapp bemessen ist der Personalschlüssel und damit die Zeit der Erzieherinnen für die Kinder. Und davon, dies wurde bei der nachfolgenden Diskussion deutlich, können viele Erzieherinnen und Eltern ein Lied singen. Deshalb müsse der Weg hin zur Kleingruppenpädagogik, zu mehr Personal und zu einer familiären Atmosphäre zielstrebig eingeschlagen werden, so die Forderungen der SPD. „Denn eine gut austa-rierte, nicht zu knausrige Familienpolitik ist nicht nur sozial, sondern ist auch wirtschaftlich relevant, etwa bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels“, ist Prewo, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, überzeugt. Ingrid Miklitz, Sozialwissenschaftlerin und Vorsitzende des Landesverbands der Wald- und Naturkindergärten, unterstrich die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs: „Durch die verlängerten Betreuungszeiten, aber auch durch wegbrechende Familienstrukturen ist die Kita heute oft nicht mehr nur familienbegleitend, sondern sie muss die Familie zumindest für die Zeit der Betreuung ersetzen. Deshalb muss auch die Atmosphäre familiär sein – kleine Gruppen mit festen Bezugspersonen in einer heimeligen Umgebung.“ Mit einfachen Mitteln sei schon bei der Einrich-tung viel zu erreichen: Gemütliche Rückzugsecken, viel Stoff und eine dezentrale Beleuchtung. Im Lauf der lebhaften Diskussion kristallisierte sich dann noch ein weiterer, neuer Aspekt heraus: Auch wenn der Personalschlüssel stimmt und genügend Geld fließt, dann oft in die falschen Projekte. Anstatt die Kinder in Ruhe entdecken zu lassen, wo sie stehen in der Welt und wer sie eigentlich sind, werden sie mit Förderprojekten von außen überschüttet. Immer mehr Angebote, von Sprachförderung über Musikpädagogik, werden installiert, so dass bereits der Kindergartenalltag streng nach Stundenplan abläuft. Ein gut gemeinter Ansatz, der die Bedürfnisse der Kinder jedoch komplett ignoriere, so die Auffas-sung vieler Erzieherinnen. „Wenn ein Kindergartenkind nicht mehr die Zeit hat, mal zwei Stunden ungestört in der Bauecke zu spielen, dann läuft etwas schief“, brachte eine Kindergartenleiterin die Sache auf den Punkt. Bildungsinhalte müssten ihren Raum auch im Kindergarten haben, führten andere aus, aber der Impuls zum Lernen, die Neugier müsse vom Kind kommen. Dann bestimme das Kind den Augenblick und nicht die externen Angebote. Befeuert wird der Druck auf die Einrichtungen durch die nachvollziehbare Angst der Eltern, ihr Kind könne bei der Auslese unseres Schulsystems nach Klasse 4 nicht mithalten. In der Schule beginnt in Klasse drei der Notendruck, aber die Angst, Bildungschancen zu verpassen, sei schon viel früher vorhanden. Auf die Frage aus dem Auditorium, was dieser Entwicklung entgegen zu setzen sei, antwortet Lisette nur lakonisch: „Das Schulsystem ändern! Kinder im Alter von zehn Jahren auszusortieren, ist unwürdig.“ Esken machte deutlich, dass eine gute, bestärkende Elternarbeit der Kindertagesstätten hier viel bewirken könne. „Eltern wollen einbezogen werden, und in einer guten Einrichtung ist der Beitrag der Eltern willkommen“. Im Film strahlten die Elterngespräche und die Elternabende dieselbe Ruhe aus, die auch den Kindergartenalltag auszeichne. Die zahlreichen, konstruktiven Diskussionsbeiträge werden nicht ungehört verpuffen: Dr. Rainer Prewo kündigte an, das Gehörte in Verbänden und Gremien als Erfahrungsbericht einzubringen. An der Dreigliedrigkeit des Schulsystems und der damit verbundenen unseligen Auslese halte die baden-württembergische Landesregierung zwar derzeit wider besseres Wissen fest. Doch in der Gestaltung der Kleinkindbetreuung sei sicherlich so manches zu bewegen. Saskia Esken machte deutlich, dass die Kommunen beim Ausbau und der Gestaltung der Kleinkindbetreuung inhaltlich große Spielräume hätten und ermutigte deshalb dazu, auch selbst aktiv zu werden: „Setzen Sie sich mit Ihren Kolleginnen und Kollegen, mit den Eltern und mit dem Träger zusammen, um gemeinsam einen guten Kindergarten zu entwickeln!“ Bericht "Lisette und Ihre Kinder" vom 25.11.2010

 

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