Bildungsaufbruch oder Wissen ist Macht, nichts wissen macht auch nichts!

Veröffentlicht am 05.04.2008 in Kontra

Bildung: Das ist was, wovon alle etwas verstehen. Schließlich waren alle mal in der Schule. Und wer Kinder hat, hat hautnah erfahren, wie das mit der Schule und der Bildung läuft. Und die Politiker in den Landesparlamenten wissen natürlich auch alle Bescheid, schließlich ist Schule und Bildung Ländersache. Und doch ist es merkwürdig. Obwohl eigentlich alle meinen, Bescheid zu wissen, soll das deutsche Schulsystem unterdurchschnittlich sein und vor allem sozial ungerecht. Es scheint also nicht auszureichen, Bescheid zu wissen. Mit der Bildung ist es offensichtlich doch komplizierter, als es die Schlagworte "PISA", "Skandinavien" oder "Ganztagsschule" vermuten lassen.

Was läuft in der Diskussion falsch? Warum bringen die ganzen lautstarken Bemühungen keinen Erfolg? Der tiefere Grund liegt, man darf wohl sagen: wie immer bei politischen Diskussionen, in einer grandiosen Unschärfe. Es wird im Ungefährem diskutiert. Klare Strukturen, genaue Sachverhaltsfeststellung und exakte Verwendung von Begriffen sind eher selten anzutreffen. Punkte bis zu Ende durchzudenken, Voraussetzungen und Konsequenzen klar zu benennen: Fehlanzeige. Schauen wir uns das einmal genauer an.

Wer über Schule und Bildung redet, muss zunächst einmal die Aufgabe der Schule benennen. Schule soll erziehen und bilden. Die Gewichtung ist unterschiedlich, je nach Schulstufe. Allerdings kann die Schule eins sicherlich nicht leisten: Die grundlegende Erziehung der Kinder. Was in den ersten sechs Jahren nicht geschafft wird, kann die Schule, insbesondere die Grundschule, nicht nachholen. Oder, wie es ein Schulrat einmal ausdrückte: "Man kann nicht morgens um 8 Uhr ungezogene Gören in der Schule abgeben und erwarten, mittags um 12 Uhr wohlerzogene Kinder zurück zu bekommen". Bildungspolitik muss die Grenzen der Schule respektieren.

Und dann: Wie funktioniert Bildung? Welche Faktoren sind wesentlich für den Erfolg der Schüler? Die wissenschaftlichen Ergebnisse sind deutlich, wenn auch vielleicht für viele unliebsam überraschend: Entscheidend sind Schülereigenschaften (z. B. IQ, Anstrengungsbereitschaft), Geschehen im Klassenraum (z. B. Lehrerfähigkeiten) und familiärer Bildungskontext; in dieser Reihenfolge. Erheblich weniger wichtig sind Lehrplan, Schulorganisation oder Schulpolitik, ebenfalls in dieser Reihenfolge. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse stellen damit die ganze aktuelle Bildungspolitik auf den Kopf.

Was folgt daraus? Um es deutlich zu sagen: Wer vorrangig auf die formalen Kriterien der Bildung abstellt (Gliederung des Schulsystems, Ganztagsunterricht und ähnliches mehr), beschäftig sich mit den Dingen, die für den Bildungserfolg nicht so wichtig sind. Bei diesen Punkten wird bildlich gesprochen bereits im 2. Stockwerk gebaut, obwohl die Fundamente noch nicht tragfähig sind.

Wer Bildung wirklich fördern will, muss dafür sorgen, dass die Eigenschaften der Schüler schon vor der Einschulung frühzeitig gefördert werden. Wer Bildung wirklich fördern will, muss dafür sorgen, dass die Lehrer hervorragend ausgebildet werden. Wer Bildung wirklich fördern will, muss dafür sorgen, dass die Familien Unterstützung bekommen. Deswegen ist die Erziehungsberatung so wichtig. Wer Bildung wirklich fördern will, muss bereit sein, die Ergebnisse der Entwicklungspsychologie zur Kenntnis nehmen und umsetzen. Und vor allem eins: Wer Bildung wirklich fördern will, der muss bereit sein, die für die Bildung der Kinder die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Und hier liegt die Crux: Bildungspolitik ist heutzutage vor allem Kostenvermeidungspolitik. Auf der einen Seite wird der Verwaltungsaufwand der Schulen immer höher und der Anteil der nicht unterrichtenden Tätigkeit für die Lehrer immer größer; auf der anderen Seite erhalten die Schulen immer weniger Lehrerstellen. An dieser Fehlentwicklung ändern auch die ganzen vielen Ideen von Ganztagsschule, schulübergreifende Vergleichsarbeiten oder Qualitätsmanagement nichts. Fehlende Lehrer lassen sich nicht durch eine Ganztagsschule ersetzen. Wer immer mehr will und immer weniger auszugeben bereit ist, darf sich nicht wundern, wenn die Leistungen der Schüler immer schlechter werden.

So scheint das auch mit der Ganztagsschule nicht wirklich zu Ende gedacht zu sein. Wenn die Schüler statt bisher durchschnittlich 5 Stunden täglich (8 bis 13 Uhr) zukünftig 7 Stunden (8 bis 13 und 14 bis 16 Uhr) täglich betreut werden sollen, so bedeutet dies einen zusätzlichen Lehrerbedarf von rund 35 bis 40 % ! Auch die Ganztagsschule führt nur dann zu positiven Ergebnissen, wenn man bereit ist, die damit verbundenen notwendigen Kosten auch auszugeben.

Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Chancengleichheit, Erziehungsstile, skandinavischen Modelle und vieles mehr wartet darauf, auf der Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse wieder auf die Füße gestellt zu werden. Ein weites Feld für einen sachgerechten Diskurs. Ob der im politischen Kontext aber gewollt ist? Ich glaube nicht. Denn die Bildungspolitiker müssten sich dann von vielen liebgewonnenen Vorurteilen trennen.

Und so bleibt dem Verfasser nach 25-jähriger eingehender Beobachtung des Grundschulbetriebs letztlich nur die zynische Erkenntnis über die Bildungspolitik: Viele fühlen sich berufen, mitzureden. Aber kaum einer davon ist wirklich auserwählt.

Gerd Ulrich Mathias
Uetersen

 

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